Mutabor: Wenn ich an Istanbuls clevere Schlitzöhrchen denke, fällt mir der Kalif Storch ein. Die Story geht so: Chasid, Kalif von Bagdad, und sein Großwesir erwerben ein Pülverchen, mit dem sie sich in Tiere (in dem Fall Störche) verwandeln können. Sie dürfen aber nicht lachen, solange sie als Tier unterwegs sind, was natürlich nicht klappt, da das Storchsein ausgesprochen heiter ist. Und so müssen sie Störche bleiben, weil sie durch das Lachen den Zauberspruch vergessen haben, der sie zurück in Menschen verwandelt. Der Zauberspruch im Märchen heißt “Mutabor”. Ähnlich zauberhaft verwandeln sich in Istanbul auch nüchterne Touristen aus dem Westen. Ich hatte jedenfalls ab und zu das Gefühl, dass diese große, alte und weise Stadt Auswirkungen auf unseren gewöhnlich kristallklaren Geisteszustand hat und wir “das magische Wort”, das unseren Grips einschaltet, vergessen hätten.
So geschehen im Topkapi. Der Topkapi-Palast, eine gigantische Anlage, ist umwerfend schön, lockt mit zig herrlichen Innenhöfen, Palasträumen, weitläufigem Park, mit Gold, Silber und Juwelen, Sultansgewändern, reich verzierten Waffen (der berühmte Topkapi-Dolch!), Orden, Bildern, Ausblicktürmchen, Seerosenteich und was sich sonst noch an orientalischen Wonnen und Prachtentfaltung denken lässt. Das Anwesen erstreckt sich auf satte 69 Hektar und war im Prinzip eine Stadt in der Stadt mit einer großen Mauer drumherum. Der Gatte und ich hatten allerbestes Wetter für den Besuch des heutigen Museums und sahen dem Ereignis freudig entgegen.
Das Topkapi ist ein wunderbarer Ort, den Istanbulbesucher sich auf keinen Fall entgehen lassen sollten, zumal es (zumindest im November) nicht völlig überlaufen ist. Und es hat einen Zauber bewahrt, weil sie hier die touristischen Anlagen wie Tee-Kioske nicht mit schnödem Plastikgestühl verderben und auch kein Absperrgitter vor jedem kleinen Stolperstein steht, was den Gesamteindruck doch wesentlich optimiert. Im Vergleich zu den Giardini in Venedig (zu Biennale-Zeiten) ein sehr authentisches Ambiente, von dem sich die Italiener, aber auch wir, die wir unsere Museen mit fiesen Cafeterias und jeder Menge Coffee-to-go-Wegwerfmüll ausstatten, eine große Scheibe abschneiden können.
Nach langer Besichtigungstour hungrig geworden, fiel unser Auge auf das Topkapi-Restaurant Konyali, das einen atemberaubend schönen Ausblick, weiß gedeckte Tische, ein Heer von Kellnern, auch eine Freiluftküche (ähnlich wie bei uns im Biergarten, nur fescher), und, und, und bietet. Ein typisches Touristen-Restaurant in einem Museumskomplex eben. Man muss vorausschicken, dass das Konyali laut eigener Aussage im Internet eines der renommiertesten und traditionsreichsten Restaurants Istanbuls ist (was wir nicht nachgeprüft haben, aber der Vollständigkeit halber erwähnen) und das Lokal im Topkapi nur ein Ableger. Wir betraten das Topkapi-Konyali jedenfalls mit geringer Erwartung an die Kochkunst, was uns aber wurscht war, weil wir den Ausblick wollten.
Hier trafen wir auf unsere Meister, die (weil wir schon wieder / noch immer im Stand der geistigen Verwirrheit angesichts so vieler Eindrücke waren) uns bei der Abrechnung nach allen Regeln der Kunst über den Tisch zogen. Was wir (oh, geistige Schwachheit) in einem Museums-Restaurant nicht erwartet haben und deshalb auch nicht aufbegehrten.
Wir aßen gut, nicht außergewöhnlich, aber in Ordnung, zweimal Huhn, zwei Vorspeisen (Salat, Cazik) und tranken eine Flasche Wasser!
Huhn mit Reis und Kartoffelbrei – gute Hausmannskost
Simpler Salat
und ein Cazik
Das Restaurant hat wahrlich eine überirdisch schöne Lage , was die hohen Preise erklärt, weil sich ja immer genug Dumme finden, die in Museen überteuerte Gerichte speisen. War uns beim Blick auf die Speisekarte auch klar. Letztendlich geblecht haben wir das Doppelte und wie das gekommen ist, können wir kaum erklären. Erst kam eine Rechnung, die der Mann kurz auf alle Positionen checkte, aber nicht den dort bereits zu hohen Gesamtbetrag. Dann kam der Kreditkartenapparat (weil wir nicht genug Bares dabei hatten) und der Betrag da drauf war doppelt so hoch wie die Rechnung, die zu diesem Zeitpunkt verschwunden war. Aufgefallen ist uns das erst, nachdem ich den braven Gatten fragte, wie teuer es denn nun insgesamt gewesen sei. Er holte den Beleg aus der Börse und es haute uns vom Sockel. Aber da wir keine Beweise (Rechnung!) in der Hand hatten, nahmen wir das Ganze als Lektion. Bedauerlich nur, dass der liebe Ehemann dem Kellner noch ein richtig gutes Trinkgeld gegeben hatte und insofern für die nächsten drei Stunden menschlich zutiefst enttäuscht war.
Was wir das nächste Mal tun: Speisekarte mit Preisen fotografieren, Rechnung nachrechnen! Ansonsten “Inchallah” und selber schuld. Das Topkapi werden wir auch beim nächsten Mal unverzagt besuchen, denn einen Çay (schwarzer, ultra-starker Tee, den man hier überall schlürft) und feine Süßigkeiten (die mit allerlei Nüssen angereicherten Früchte müssen Sie probieren!) für den kleinen Hunger gibt’s für wenig Geld im Kiosk, der ebenfalls nett ist und mitten im Park liegt.